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Josephinismus - Jugendgerichtsbarkeit (9/25)
Juch, Otto Judenburg

Juden


Juden: Im Gebiet des heutigen Österreichs wurden erstmals zu Beginn des 10. Jahrhunderts Juden als Händler urkundlich erwähnt (Raffelstettener Zollordnung). Im alpinen Bereich sind ab Ende des 11. Jahrhunderts Judendörfer (Judendorf) genannt, deren Funktion nicht ganz klar ist. Zu einer regelrechten Ansiedlung von Juden kam es erst am Ende des 12. Jahrhunderts in Wien. Im Wesentlichen entstanden die jüdischen Gemeinden aber erst im Lauf des 13. Jahrhunderts; ihr Schutzherr war der Herzog von Österreich; Friedrich II. der Streitbare stellte 1244 ein Judenprivileg für Österreich aus, nachdem schon 1238 Kaiser Friedrich II. ein Privileg für die Wiener Juden erteilt hatte. Die schwerste Judenverfolgung des Mittelalters fand 1338 von Pulkau (Niederösterreich) ausgehend statt (Beschuldigung einer Hostienschändung). Um die bedeutendste Gemeinde zu retten, senkten die Wiener Juden den Zinsfuß der Darlehen mit Zustimmung der Herzöge Albrecht II. und Otto dem Fröhlichen. 1420/21 wurden die Juden aus Österreich von Albrecht V. im Zuge der Hussitenkriege vertrieben, da man sie der Zusammenarbeit mit den Hussiten verdächtigte. 1496 wurden die Juden auf Drängen der Stände von Maximilian I. aus der Steiermark und aus Kärnten vertrieben, durften sich aber am Ostrand des Reichs (Zistersdorf, Eisenstadt und anderswo) ansiedeln. Ab 1551 mussten sie beim Aufenthalt in Städten und Märkten den "gelben Fleck" tragen. In Wien stieg die Zahl der Juden am Ende des 16. Jahrhunderts wieder an, ein neuer Friedhof (Seegasse, Wien 9) wurde angelegt, und 1624 erhielten die Juden von Kaiser Ferdinand II. ein Privileg und durften sich im Unteren Werd (heute Leopoldstadt) ansiedeln.

Neben den Juden in Wien, deren Führungsschicht die hofbefreiten Juden bildeten, gab es kleinere Ansiedlungen in vielen Dörfern auf dem Land. Ab 1617 bestand eine kleine Gemeinde in Hohenems (Vorarlberg), während einer kurzfristigen Vertreibung (1676-88) siedelten sich auch einige Familien in Innsbruck (Tirol) an. 1669/70 wurden die Juden neuerlich aus Österreich vertrieben. Doch schon in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts kamen Samuel Oppenheimer und Samson Wertheimer nach Wien und wirkten als Hofjuden. Sie erhielten Privilegien, alle nach ihnen zuwandernden Juden aber nur noch Toleranzen, die nur kurzfristig gültig waren. Trotz des Verbots, eine Gemeinde zu bilden, entstanden in den 60er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts Einrichtungen, die eine neue Gemeindebildung vorbereiteten (zum Beispiel Chewra Kadischa). 1752 betrug die Zahl der in Wien zugelassenen Juden 452. Maria Theresia erließ 1753 und 1764 restriktive Judenordnungen. 1782 erließ Joseph II. das Toleranzpatent für die Juden in Wien und Niederösterreich, das vor allem klimatische, aber wenig substantielle Verbesserungen brachte. Trotzdem gelang einigen Wiener Familien ein aufsehenerregender sozialer Aufstieg (Arnstein, Eskeles, Königswarter, Hönigstein), der während der Napoleonischen Kriege beschleunigt wurde und im Salon der Fanny von Arnstein gipfelte. Juden waren im Transportwesen, in der Industrie und im Bankwesen tätig, wandten sich aber auch künstlerischen Berufen zu. 1826 wurde der Wiener Stadttempel errichtet und Isaac Noa Mannheimer als "Israelitischer Religionslehrer" und Salomon Sulzer als Kantor nach Wien berufen.

1848 waren Juden, die sich von der Konstitution auch die Emanzipation erwarteten, an der Revolution beteiligt. Immer wieder von Rückschlägen begleitet, setzte sich schließlich bis 1867 die Gleichstellung der Juden durch. 1849 sprach Kaiser Franz Joseph I. das erste Mal von einer israelitischen Gemeinde in Wien. 1852 wurde ein provisorisches Statut genehmigt, das 1867 definitiv wurde. Ein eigenes Gesetz für die Regelung der Angelegenheiten der Kultusgemeinden (Israelitengesetz) wurde 1890 erlassen. Zunächst wanderten Juden vor allem aus Böhmen und Ungarn nach Wien, auch in Graz, Linz, Innsbruck und einer Reihe anderer Städte entstanden eigene Gemeinden. Geringer war in den 60er und 70er Jahren noch die Zuwanderung aus Galizien. Sozialen Aufstieg ermöglichten vor allem das Textilgewerbe, aber zunehmend auch akademische Berufe. Da die erfolgreichen Juden deutsch-liberal gesinnt waren, verband sich die Liberalismuskritik mit einem stark christlich gefärbten Antisemitismus. Gegen diesen richtete sich die 1885 gegründete Union Österreichischer Juden. Gegen die Assimilation bildete sich eine jüdisch-nationale Partei, auch präzionistische Einflüsse wurden wirksam; 1882 wurde eine jüdische nationale Studentenverbindung, die Kadimah, gegründet. Mit diesen Problemen hing die Begründung des theoretischen Zionismus durch T. Herzl zusammen, der in Wien während des 1. Weltkriegs an Einfluss gewann. Unter der geistigen Führung von Zwi Perez Chajes, ab 1917 Oberrabbiner in Wien, setzten sich auch allmählich die Zionisten in der Leitung der Kultusgemeinde durch. Etwa 36.000 Juden aus Galizien flüchteten während des 1. Weltkriegs nach Wien. Ihre Gesamtzahl in Österreich erreichte damals etwas über 200.000. Nach 1918 wurden die meisten der Flüchtlinge nach Polen zurückgeschickt. In der 1. Republik war eine Reihe von Juden in führender Position bei den Sozialdemokraten tätig (O. Bauer, J. Deutsch, H. Breitner, J. Tandler und andere). Der Aufbruch in die Moderne wurde bereits ab der Jahrhundertwende von Juden mitgestaltet (A. Schönberg, A. Schnitzler, P. Altenberg und andere). Bedeutsam war das Wirken von S. Freud. Mit dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich am 13. 3. 1938 begann die systematische Ausgrenzung der Juden aus Gesellschaft und Wirtschaft. Zunächst bestand das Ziel darin, möglichst viele zur Emigration zu veranlassen (Vertreibung). Dabei war der Pogrom am 9./10. 11. 1938 (Novemberpogrom) ein wichtiger Einschnitt. 1941 begannen die Transporte in den Osten, und am 1. 11. 1942 wurde die Wiener Kultusgemeinde aufgelöst. 120.000 Juden konnten sich durch Auswanderung retten, 60.000 wurden in den Vernichtungslagern ermordet oder auf andere Weise umgebracht. Einige 1000 Juden kehrten aus Konzentrationslagern und Exilländern zurück. Neben Wien bildeten sich israelitische Kultusgemeinden in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck. Bis in die 70er Jahre nahm die Zahl der Juden ständig ab, eine Umkehr der Entwicklung setzte mit der Zuwanderung aus der Sowjetunion ein. Nachdem auch die Zahl der Mitglieder der Kultusgemeinde nur noch leicht zurückging, bildete sich seit den 80er Jahren ein vielfältiges jüdisches Leben aus, das durch Schulgründungen, Gemeindezentrum und zahlreiche kulturelle Aktivitäten gekennzeichnet ist.


Literatur: W. Häusler, Die Revolution von 1848 und die österreichischen Juden, 1974; G. Wolf, Geschichte der Juden in Wien (1145-1876), Reprint 1974; C. E. Schorske, Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, 1982; K. Lohrmann (Hg.), 1000 Jahre österreichisches Judentum, 1982; P. Genée, Wiener Synagogen 1825-1938, 1987; H. Tietze, Die Juden Wiens, Reprint 1987; W. Plat (Hg.), Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, 1988; G. Botz, I. Oxaal und M. Pollak (Hg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert, 1990; K. Lohrmann, Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Österreich, 1990; M. Keil und K. Lohrmann (Hg.), Studien zur Geschichte der Juden in Österreich, 1994; E. Weinzierl, Zu wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938-1945, 41997.


 
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