Arthur
Schnitzler, Der Weg ins Freie, 1908 Vom
Turm der Michaelerkirche schlug es neun, als Georg vor dem Kaffeehaus stand.
An einem Fenster, das der Vorhang nicht verhüllte, sah er den Kritiker
Rapp sitzen, einen Stoß Zeitungen vor sich auf dem Tisch. Eben hatte
er den Zwicker von der Nase genommen, putzte ihn, und so sah das blasse,
sonst so hämisch-kluge Gesicht, mit den stumpfen Augen wie tot aus. Ihm
gegenüber, mit ins Leere gehenden Gesten, saß der Dichter Gleißner,
im Glanze seiner falschen Eleganz, mit einer
ungeheuern, schwarzen Krawatte, darin ein roter
Stein funkelte. Als Georg, ohne ihre Stimmen zu hören, nur die
Lippen der beiden sich bewegen und ihre Blicke hin- und hergehen sah, fasste
er es kaum, wie sie es ertragen konnten in dieser Wolke von Hass sich eine
Viertelstunde lang gegenüberzusitzen. Er fühlte mit einem Mal, dass
dies die Atmosphäre war, in der das Leben
dieses ganzen Kreises sich abspielte, und durch
die nur manchmal erlösende Blitze von Geist und von Selbsterkenntnis
zuckten. Was hatte er mit diesen Leuten zu tun? Eine Art von
Grauen erfasste ihn, er wandte sich ab und entschloss sich, statt ins Kaffeehaus
zu gehen, endlich wieder einmal den Klub aufzusuchen, dessen Räume
er seit Monaten nicht betreten hatte. Es waren nur wenige Schritte bis dahin.
Bald stieg Georg die breite Marmortreppe hinauf, begab sich in den kleinen
Speisesaal mit den licht- grünen Vorhängen und wurde von Ralph Skelton,
dem Attaché der englischen Botschaft, und Doktor von Breitner, die in
einer Ecke beim Souper saßen, als ein lang Vermisster mit gedämpfter
Herzlichkeit begrüßt. Man sprach
von dem Turnier, das bevorstand, von dem Bankett,
das zu Ehren der ausländischen Fechtmeister veranstaltet werden sollte;
plauderte über die neue Operette am Wiedner Theater, in der Fräulein
Lovan als Bajadere beinahe nackt aufgetreten
war, und über das Duell des Fabrikanten
Heidenfeld mit dem Leutnant Novotny, in dem der beleidigte Ehemann
gefallen war. Arthur
Schnitzler, Tagebuch, 1890 [11/9] Samstag.-
Im Cafe Central mir einen dramat. Plan zurechtgelegt; dann geschichtliches (Zoologie)
aus Claus studirt. Bei Sigmund Schneider eine Kröte secirt, Rosenberg kam,
sowie Sigmunds Bruder, nun wurde musicirt (Rubinstein Trio, 1. Satz der Bruckner'schen
Symphonie). Schließlich erschien Eugen. Nach Tisch arbeitete ich ein
wenig Anatomie, meine Augen ließen nicht viel zu; Eugen kam; wir flanirten,
endlich sah ich mir den Königslieutenant in der Burg an; eine prachtvolle
Leistung Sonnenthals. Nach ihm am besten die Hartmann. |